Hundetrainerin

Qualzucht verstehen mit Svenja

Qualzucht verstehen mit Svenja

Erzähle uns, wie Du dazu gekommen bist, Hundetrainerin zu werden.

Vor über 12 Jahren ist Matilda in mein Leben getreten und ich musste mich entscheiden, ob ich den Hund wieder abgebe, weil ich vollkommen überfordert mit ihr war oder ob ich mich auf den Weg mache und "Hund" lerne. Dann gab es irgendwann kein Zurück mehr. Ich wollte immer mehr Wissen erlangen und merkte, dass andere Menschen auch überfordert sind. Dass sie dann die gleichen Fehler wiederholen, die ich gemacht habe, kam mir sinnlos vor, also war der Weg klar.

Erzähle uns von Eingenordet. Wie lautet die Philosophie? Wann hast Du Eingenordet gegründet? Welche Erfahrungen hast Du bisher als Geschäftsinhaberin gemacht?

Die Eingenordet-Philosophie ist simpel. "Nicht heulen. Machen." Klingt auf plattdeutsch nicht ganz so hart, aber die Philosophie begleitet mich schon mein Leben lang. Hundeführung ist sehr anstrengend für den eigenen Kopf, wenn man es richtig machen will und es gibt viel Stoff, den wir uns aneignen müssen. Daher ist jeder "Kniff", "Trick", "Hack" zum perfekten Hund absoluter Quatsch. Wir müssen verstehen, dass es ein Prozess ist. Wir wachsen mit unserem Hund zusammen wie in einer Beziehung mit einem Menschen - das dauert.

Wir müssen lernen, was es bedeutet eine andere Spezies zu verstehen und von ihr verstanden zu werden. Eine neue Sprache lernen ist dagegen fast simpel, da haben wir ja nicht noch mit den ganzen Emotionen zu kämpfen. Auch ich lerne mit jedem neuen Hund noch dazu und würde mich gerne für frühere Fehler entschuldigen. Das Vertrauen, das meine Kund:innen mir schenken, ist mein höchstes Gut und ich möchte keine andere Firma mehr leiten, da ich mir nicht vorstellen kann, dass mich etwas anderes so sehr erfüllt. Eingenordet bedeutet aber eben auch, dass ich hier und da einen sehr nordischen Tonfall an den Tag lege und mich meine Kund:innen im Training auch ein paar Minuten überhaupt nicht mögen - das nehme ich in Kauf, wenn der Hund dafür vernünftig geführt wird ;)

Kommen wir zum Eingemachten. Was ist Qualzucht und wie ist Deine Meinung dazu?

Ich erspare uns mal das Zitieren von Gesetzestexten und bringe es auf den Punkt. Tiere mit Qualzucht-Merkmalen haben eine verminderte Lebensqualität oder leiden ihr, oft kurzes, Leben lang an körperlichen Missständen. Das können sichtbare Merkmale sein, aber auch genetische Faktoren. Die sichtbaren Merkmale sind paradoxerweise die, unter denen sie leiden, die der Mensch aber im besonderen Maße hervorheben möchte. Eine besonders kurze Nase, besonders kurze Beine, besonders breite Brustkörbe, besonders viele Falten, besonders viele Farben etc etc etc. Menschen haben es in der Hand, ob ein Tier z.B. atmen, laufen, sehen, hören, sich fortpflanzen kann, also ein lebenswertes Leben führt und nimmt aber für äußere Merkmale in Kauf, dass der Hund keine oder eine stark verminderte Lebensqualität hat.

Wir spielen Mutter Natur und mit den Verpaarungen, die gemacht werden - da sind wir inzwischen unterwegs, wie in einer Experimentier-Küche. Die Auswirkungen sind ekelhaft, vor allem die Einstellung mancher Menschen, dass das ja alles nicht so schlimm ist. Es ist grausam und Tierquälerei vor den Augen aller.

Wie sind Deine Erfahrungen mit Tieren aus der Qualzucht? Bzw. was für Erfahrungen hast Du bereits mit Qualzucht gemacht?

Ich habe erst einmal vor meiner eigenen Haustür gekehrt und war mir selbst ehrlich gegenüber. Was war denn das Gefühl, als ich das erste French-Bull-Baby auf dem Arm gehabt habe? Wissenschaftlich fundierte Ablehnung? Nein! Völliger Oxytocin-Ausbruch in meinem Gehirn. Natürlich fand ich die Hündin auch bezaubernd und verstehe deswegen auch, warum es so schwer fällt da "bei Verstand" zu bleiben. Aber das müssen wir. Die Hündin wird ihr Leben lang Einschränkungen in den Atemwegen haben und oft Atemnot - ich habe als Kind mit der Lunge zu tun gehabt. Ich weiß, wie sich Atemnot anfühlt und das dürfen wir doch nicht in Kauf nehmen, weil wir bestimmte Merkmale süß oder besonders schön finden. Wenn ich Anfragen bekomme und Menschen sich auf einen Trainingsplatz bewerben, ich dann lese, dass sie einen Hund mit Qualzuchtmerkmalen haben, dann wurde es anfangs schwer für mich. Inzwischen ist es ganz leicht. "Stehst Du dem kritischen Umgang mit Qualzucht offen gegenüber und hilfst Du mir bei der Aufklärung?" Wenn ja, dann legen wir los. Wenn nein, dann arbeiten wir leider nicht zusammen.
 

Woher weiß ich, ob mein Hund aus einer Qualzucht stammt bzw. Teil einer Qualzucht-Rasse ist?

Bei vielen Rassen wissen wir ja bereits, dass wir eine Vermehrung nicht unterstützen sollten, beispielsweise Mops. Durch das hohe Aufkommen von Hunden mit Merle-Faktor, also Hunden, die verschiedene Farbkombinationen haben, müssen wir aber auch da sehr genau aufpassen und die Züchter:innen auf Herz und Nieren prüfen, ob sie wirklich gewissenhaft mit diesem sehr komplexen Thema umgegangen sind. Dann sollten wir uns immer noch überlegen, ob wir durch die Außenwirkung, die unser "gesunder" merlefarbene Hund hat, den Hund nehmen sollten. Wir unterstützen dadurch eben auch Vermehrer:innen, die eben nicht aufpassen. Der einfachste Weg ist auf der Seite der QUEN-Datenbank zu gucken und sich dort zu informieren. Oder einfach die Rasse + Qualzucht googeln und dann wird man auch sehr schnell fündig. Die Qualzucht-Merkmale sind da sehr verschieden und auch wenn ich einen Labrador, der kaputte Ellenbogen und Hüften hat, immer wieder als Deckrüde einsetze und die kaputten Gelenke weitervererbt werden, ist das Qualzucht.

Würdest Du im Allgemeinen den Kauf oder die Adoption eines Haustieres empfehlen?

Meinst Du Züchter oder Tierschutzhund? Die große Diskussion ;) Ich selber habe bisher nur Hunde aus dem Tierschutz, weiß aber, dass ich mir bestimmt auch mal einen Hund von einer Züchterin oder Züchter holen werde, wenn es sich "richtig" anfühlt und ich die Elterntiere etc kennen möchte. Ich glaube, es gibt eben Menschen, die würden keinen Hund aus dem Tierschutz nehmen und umgekehrt. Ja, wir haben ein massives Problem mit Millionen Hunden, die ein Zuhause brauchen, aber deswegen auf die Menschen zu schimpfen, die sich Hunde von Züchter:innen holen - das ist zu kurz gedacht. Aber eben einfach und deswegen wird die Diskussion oft so oberflächlich geführt.

Worauf sollte man achten, wenn man sich einen Hund anschaffen möchte?

Lass es besser! :) Ich verstehe, dass es komisch klingt, dass ich das sage, aber ich sehe eben in der täglichen Praxis, dass es so viel mehr braucht, als viele geben können von sich. Wenn es trotzdem unbedingt ein Hund sein soll, dann sollten wir uns fragen: Habe ich genug Geld, Zeit, Kraft, Netzwerk, Puffer, summa summarum: Ressourcen, so dass ich einem Lebewesen ein ARTGERECHTES Leben bieten kann. Das ist so viel mehr, als viele glauben. In der Stadt ist es einfach sehr schwer dem Hund ein art- und rassegerechtes Leben zu bieten. Die meisten Hunde sind in der Stadt dauergestresst und auch wenn viele jetzt sagen: "meiner nicht", dann lade ich sie ein, einen Tag mit mir durch Berlin zu fahren und ich zeige euch an hunderten Hunden, die täglich durch Berlin laufen, die kleinen Stress-Signale, die oft nicht mal von den Besitzer:innen selbst wahrgenommen werden. Wenn Du einen Hund möchtest, verstehe, dass Du für 10/15 Jahre sehr viel von Deinem eigenen Leben und Deiner Freiheit geben musst, wenn Du eine wirkliche Verbindung zu einem Sozialpartner bekommen möchtest.

Ich möchte eine Qualzucht-Rasse aus einem Tierheim adoptieren – ist das in Ordnung? Worauf sollte ich achten?

Das ist wunderbar, dass Du einem Hund aus dem Tierheim ein Zuhause geben und für ihn Verantwortung übernehmen wirst. Und natürlich kümmern wir uns auch um die Hunde mit Qualzucht-Merkmalen. Sie können ja nichts dafür und brauchen den Menschen ja genau so. Es kann auf der Straße natürlich dann auch mal zu unschönen Begegnungen kommen, weil jemand sagt: "Äh, Qualzucht." Das muss man dann wegstecken oder man nimmt sich die Zeit und klärt auf. Bei brachyzephalen Rassen, also den kurzköpfigen Rassen, muss ich mir dann natürlich bewusst machen, dass es im Sommer und bei bestimmter Aktivität für den Hund gefährlich werden kann. Aber da fummelt man sich rein. Wenn Gelenke etc nicht in Ordnung sind, können eben Kosten für Arthrose-Behandlung oder Physio oder so im Alter entstehen, aber da stehen wir mit unseren alten Hunden ja oft alle zusammen in der Praxis.

Wie reagiert man am besten, wenn man jemanden mit einem Tier aus einer Qualzucht-Rasse sieht, und der damit unterwegs ist?

Nicht verurteilen, bevor ich alle Informationen habe. So viele Menschen haben Hunde aus dem Tierschutz oder Abgabe-Hunde und denen dann etwas vorzuwerfen wäre ja völlig unangebracht. Wenn ihr jemanden im Sommer mit Fahrrad und z.B. einem Mops daneben rennend seht, dann anhalten und fragen, ob, tja, ich sage es mal in meinen Worten, ihr bekommt es höflicher hin, ob er einen an der Klatsche hat! Wenn sich Freunde oder Bekannte bewusst einen Hund mit Qualzucht-Merkmalen holen und um das Thema wissen, dann wird es schwer. Ich kann solche Kontakte dann schwer pflegen, weil das für mich eben nicht geht, aber das muss jede:r für sich entscheiden. Auf der Straße gilt, wie immer: erst fragen und dann ein Urteil bilden, wenn alle Informationen vorliegen. Situativ lässt sich da in der Situation eh nicht viel ändern. Da muss der Gesetzgeber endlich noch schärfere Gesetze erlassen und der gesellschaftliche Druck muss sich durch Aufklärung erhöhen, nicht durch Diffamierung.

Ich habe ein Tier aus der Qualzucht adoptiert und wusste es nicht – was kann ich tun, um das Bewusstsein zu schärfen?

Aufklären, wenn ich angesprochen werde. Aufklären über Deinen Social Medie Kanal - eine ganz mächtige Waffe heutzutage. Jeder, der von Dir lernen kann, macht nicht den gleichen Fehler und die Veränderung in den Köpfen geht weiter.

Möchtest Du sonst noch etwas zum Thema Qualzucht hinzufügen?

Wir sollten uns fragen, ob ein "schön", "niedlich", "ungewöhnlich" und die damit verbundene Emotion ausreicht, dass Hunde für uns leiden.

Hast Du einen allgemeinen Ratschlag für neue Hundebesitzer*innen, die mit ihrem neuen vierbeinigen Familienmitglied zu kämpfen haben?

Es muss sich hierbei nicht um ein Hund aus der Qualzucht handeln, sondern einfach allgemein für neue Haustierbesitzer*innen. 

Bitte erzieht keinen Hund ohne wirkliche Fachkenntnisse und wenn ihr die nicht habt, dann sucht bitte gewissenhaft nach jemanden, der euch unterstützt und euch den gesamten Weg zeigt. Nicht nur kleine Puzzleteile, sondern das, was es braucht, um einen Hund in dieser Gesellschaft zu führen, in der er fast keine Aufgabe mehr hat, im Kopf aber Profi ist. Unsere Hunde haben alle Eigenschaften, die wir Menschen noch "gestern" eingesetzt haben. Heute sind unsere Hunde "nur noch" Sozialpartner. Das sind große Herausforderungen, und die meisten Hunde bleiben ihr Leben lang unverstanden und dann kommt einfach der nächste Hund.


Instagram: @eingenordet